"Die Gewaltfreie Kommunikation funktioniert nicht!" oder "Ich habe doch eine Bitte auf Basis der 4 Schritte formuliert und trotzdem macht sie nicht, was ich
will?!?" Solche Irrtümer passieren dann, wenn Menschen glauben, es reiche aus die 4 Schritte der GFK - also Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte - wie eine Methode anzuwenden. In der
Hoffnung, dass dann die Kommunikationsprobleme gelöst seien. Auch mir ging es anfangs so.
Die für mich neue und ungewohnte Art meine Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen oder das eigene Anliegen zu formulieren, führte zur Erwartungshaltung, dass sich sofort etwas ändern müsse. Vor allem bei den anderen ;) Das tat es aber nicht. Und warum es so war, darüber schreibe ich in diesem Blogartikel. Denn was du unbedingt wissen solltest ist, dass es neben den 4 Schritten der GFK, die 3 Wege gibt. Diese Wege bieten dir die Möglichkeit, dich auf Basis der 4 Schritte
- in dich selbst einzufühlen,
- dein Anliegen durch einen Selbst-Ausdruck mitzuteilen und
- der anderen Person auf einfühlsame, empathische Weise zu begegnen.
Die Reihenfolge dieser Wege kannst du frei wählen, so wie auch die 4 Schritte keiner festgelegten Reihenfolge entsprechen.
Die drei Wege der Gewaltfreien Kommunikation
Mit den 4 Schritten der Gewaltfreien Kommunikation findest du eine übersichtliche Methode, um im Konfliktfall die Verbindung herzustellen und zu halten. Und das bedeutet, es ist wichtig die vier Schritte in verschiedene Richtungen gehen zu wollen. In deine eigene und ebenfalls in Richtung der anderen Person. So gelingt es leichter, auf diesen Wegen die Verbindung zu halten, selbst dann wenn es herausfordernden und konfliktreich ist.
Darüber hinaus, ist es förderlich, aus der Absicht der Verbindung zu handeln und nicht aus dem Verlangen heraus, eine Lösung zu finden, den Konflikt zu klären oder die andere Person überreden oder ändern zu wollen.
Das sind die 3 Wege, die jeweils die 4 Schritte beinhalten.
- Selbst-Einfühlung
- Selbst-Ausdruck
- Empathie
Selbst-Einfühlung
Auf diesem Weg fühlst du dich auf Basis der 4 Schritte in dich selbst ein.
Es ist dein Weg, den du für dich und mit dir selbst gehst. Alles, was du auf diesem Weg für und über dich herausfindest, gehört dir. Du kannst es mit einer anderen Person teilen, wenn du willst. Oder wenn du denkst, es ist wichtig. Betonen möchte ich dennoch, dass der Prozess der Selbst-Einfühlung deine persönliche Privatsache ist und du deine Erkenntnisse mit niemanden teilen musst.
Bei der Selbst-Einfühlung wanderst du mit den 4 Schritten durch die Situation, die du dir anschaust. Du formulierst deine Beobachtung, spürst deinen Gefühlen nach und findest dabei deine erfüllten und unerfüllten Bedürfnisse heraus.
Diese Wanderung ist nicht gradlinig, sondern prozesshaft. Es kann sein, dass du vom Gefühl zum Bedürfnis, zurück zu deiner Beobachtung springst, um dann wieder bei einem Gefühl anzukommen. Die Praxis der Selbst-Einfühlung setzt eine Offenheit dir selbst gegenüber voraus. Es gibt hier kein richtig und auch kein falsch. Es ist zu Beginn Übungssache, die 4 Schritte für deine Selbst-Einfühlung zu nutzen. Anfangs kann es auch hilfreich sein, dich von einer Person begleiten zu lassen.
Dieser Weg der Gewaltfreien Kommunikation hilft dir dabei, die Situation gedanklich zu entschleunigen
und deinen Gedanken, Bewertungen und Reaktionsmustern auf die Spur zu kommen.
Am Ende eines Selbst-Einfühlungsprozesses kann es sein, muss allerdings nicht, dass du eine Bitte an eine andere Person hast. Wenn du am Ende keine Bitte an eine andere Person hast, war deine Wanderung trotzdem erfolgreich. Es geht nicht darum, eine möglichst perfekt formulierte Bitte an jemanden zu haben. Sondern darum, wie es dir jetzt nach diesem Selbst-Einfühlungsprozess geht. Du hast sehr wahrscheinlich mehr Klarheit über deine Gefühlswelt und deine Bedürfnisse. Möglicherweise hast du eine Bitte an dich selbst oder an eine andere Person. Dann kannst du sie zum Ausdruck bringen. Zu dem Zeitpunkt, der für dich passend ist. Oder du stellst fest, dass du von einer anderem Person gehört werden möchtest.
Die Gewaltfreie Kommunikation bietet dir 2 weitere Wege an. Selbst-Ausdruck und Empathie.
Selbst-Ausdruck
Wenn du dich für den Weg des Selbst-Ausdrucks entschieden hast, geht deine Wanderung weiter ins Außen. Mit dem Selbst-Einfühlungsprozess bist du einen innerern Weg gegangen, bei dem du dich in dich selbst eingefühlt hast.
Mit dem Weg diesem Weg, wendest du dich im Außen einer anderen Person zu. Du formulierst das, womit du gehört werden möchtest auf Basis der vier Schritte und zwar an die Person, von der du gehört werden möchtest. Du stellst die Verbindung her, in dem du deine Beobachtung mitteilst, dein Gefühl benennst und dein unerfülltes oder auch erfülltes Bedürfnis offenlegst.
Idealerweise schließt du deinen Selbst-Ausdruck mit einer Verbindungsbitte ab. Dadurch erfährst du, was die andere Person von dir gehört hat oder wie es ihr damit geht. Trotz der Formulierung auf Basis der vier Schritte kann es in einer angespannten Situation passieren, dass die andere Person dich nicht hören kann oder dennoch Vorwürfe hört. Auch dann, hast du keinen Fehler gemacht. Im folgenden findest du eine Anregung, wie du vorgehen kannst.
Schritt 1 - Meine Beobachtung: Beschreibe die Situation frei von moralischen Bewertungen oder Vorwürfen, in dem du sagst, was du genau gehört oder gesehen hast, was gesagt wurde oder was nicht gesagt wurde.
Beispiel: Als du mir gestern sagtest, du kannst dich nicht entscheiden, ob und wann du mit mir in Urlaub fahren willst, ….
Schritt 2 - Mein Gefühl: Du teilst dein Gefühl mit, indem du sagst, wie es dir in diesem Moment ging.
Beispiel: … war ich traurig und genervt und irgendwie auch schlapp …
Schritt 3 - Mein Bedürfnis: Du teilst dein unerfülltes Bedürfnis mit. Das dient dir dazu die Verbindung zur anderen Person herzustellen oder zu halten. Denn du bleibst bei dir und verurteilst nicht. Weder die Person noch deren Strategien. Das Bedürfnis zu benennen erhöht die Chance vorwurfsfrei gehört zu werden.
Beispiel:… weil ich mir Gemeinschaft wünsche und Verbindlichkeit.
Schritt 4 - Mein Bitte: Du teilst deine Bitte mit. Idealerweise schließt du deinen Selbst-Ausdruck mit einer Verbindungsbitte. Du kannst die andere Person beispielsweise fragen, was sie von dir gehört hat oder wie es ihr damit geht.
Die Reaktionen können natürlich unterschiedlich ausfallen. Es kann sein,
- dass die andere Person trotzdem einen Vorwurf hört,
- dass sie anders reagiert, als du es erwartest,
- dass sie die Verbindungsbitte auf andere Weise auslegt
- …
Und auch bei dir kann es dazu führen, dass du noch einmal eine Runde auf dem Weg der Selbst-Einfühlung drehen willst. Dann möchte ich an dieser Stelle betonen: Du hast keinen Fehler gemacht. Die andere Person hat auch keinen Fehler gemacht. Es liegt nicht an der Methode der GFK, dass es nicht geklappt hat. Wichtig ist immer wieder in die Bereitschaft zu gehen, Verbindung herzustellen oder zu erhalten. Das ist die wichtigste Voraussetzung, um angespannte, eskalierte Situationen mit Hilfe der 4 Schritte zu durchlaufen. Diese Absicht hält dich auch auf dem von dir gewählten Weg.
Aber es kann auch sein, dass du erkennst, die andere Person braucht jezt Empathie und deshalb schlägst du jetzt den 3. Weg ein, denn uns die GFK bietet. Den Weg der Empathie.
Empathie
Du hast dich entschieden der anderen Person empathisch zu begegnen, dann bedeutet das: du bist bei ihr, bei ihrer Beobachtung, ihrem Gefühl, ihrem Bedürfnis und ihrer Bitte. Deine Gedanken, Urteile, Bewertungen oder Irritationen, stellst du zur Seite, weil du weißt, du kannst sie dir ggf. über eine weitere Runde Selbst-Einfühlung noch einmal anschauen.
Du gibst auch keine Einschätzung, Stellungnahme ab oder bietest Lösungen an. Du hörst ganz einfach zu. Einzig vermutest oder spiegelst du das, was du von ihr hörst. Ihre Beobachtung, ihre Gefühle, ihre erfüllten oder unerfüllten Bedürfnisse und möglicherweise ihre Bitte. Das ist alles, was du tust, wenn du dich für den Weg des empathischen Zuhörens entschieden hast.
Falls dir Ideen kommen oder du Vorschläge machen willst, kannst du diese in Form einer Verbindungsbitte an sie richten.
- Kann es sein, dass du <GEFÜHL> bist?
- Geht es dir um <BEDÜRFNIS>?
- Könnte es sein, dass du …?
So, wie die Selbst-Einfühlung dein innerer, persönlicher Prozess ist, ist Empathie schenken der Prozess der anderen Person. Alles, was dort zum Ausdruck kommt, gehört der Person, die du gerade empathisch hörst. Auch dann, wenn du überhaupt nicht einverstanden bist. Denn hier geht es um Verstehen, idealerweise jedoch um Verbindung. Du bist präsent, mit dem was bei der anderen Person zum Ausdruck kommt.
Schritt 1 - Deine Beobachtung: Du vermutest die Beobachtung der anderen Person in Form einer Frage. Deine Aufmerksamkeit liegt vollkommen bei der anderen Person. Deine eigenen Gedanken, Gefühle und all das, was dir durch den Kopf geht, stellst du zur Seite.
Beispiel: Als du mich gestern fragtest, ob und wann ich mit dir in Urlaub fahren will und ich keine Entscheidung getroffen habe, ...
Schritt 2 - Dein Gefühl: Du vermutest die Gefühle der anderen Person. Möglicheweise hat sie die Situation auf andere Weise erlebt und auch andere Gefühle bei sich wahrgenommen als du. Bei empathischen Prozessen geht es nicht um Übereinstimmung der Gefühlswelt, sondern offen, fragend und vermutend, die Gefühle der anderen Person gemeinsam zu erkunden und offen zu bleiben für das, was kommt.
Beispiel:… hatte ich den Eindruck, dass du traurig und ebenfalls genervt warst, …
Schritt 3 - Dein Bedürfnis: Du vermutest das erfüllte/unerfüllte Bedürfnis der anderen Person. Dabei kannst du ihr Bedürfnisse anbieten. Ob es das passende Bedürfnis ist, entscheidet die Person selbst. Nicht du. Und du bietest auch keine Lösungen oder andere Vorschläge an.
Beispiel: … weil du gerne Klarheit hättest?
Schritt 4 - Deine Bitte: Du vermutest die Bitte der anderen Person, die sie an sich selbst, an dich oder an Dritte hat. Biete ihr die Bitte in Form einer Frage an. Dadurch kann sie entschieden, ob es ihre Bitte ist oder nicht. Möglicherweise äußert die Person eine andere Bitte oder hat (noch) keine.
Beispiel: Könnte es sein, dass du gerne eine Antwort von mir gehabt hättest?
Wenn ihr gemeinsam auf den 3 Wegen danke der 4 Schritte eine gute, stabile Verbindung hattet, kannst du am Ende noch eine Verbindungsbitte anschließen.
Beispiel:
- „Wie geht es dir jetzt?“
- „Willst du wissen, wie es mir gerade geht?“
- „Was macht es mit dir, wenn du merkst, dass das <BEDÜRFNIS> unerfüllt ist?“
Vertiefe dein Wissen zu den Verbindungsbitten über meine Podcast-Episode zu den Verbindungs- und Handlungsbitten.
Die 4 Schritte sind mehr als eine Methode.
In Kombination mit deiner gewaltfreien Haltung und deiner Absicht der Verbindung unterstützen sie dich dabei, dich auf den 3 Wegen zurecht zu finden. Mit der Zeit gelingt es immer besser, durch die Höhen und Tiefen der Kommunikationslandschaft gemeinsam zu gehen.
Mit diesem Blogbeitrag ist es mir wichtig dir zu aufzuzeigen, dass die GFK nicht nur aus den 4 Schritten (Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte = BGBB) besteht. Ja dadurch ist es eine komplexe undd trotzdem gleichzeitig eine sehr wirkungsvolle Methode, um die Verbindung immer wieder herzustellen und zu halten.
Zu dir selbst und zu deinen Mitmenschen. Nimm dich dabei genauso ernst, wie die anderen und du wirst feststellen, dass es wichtig ist, um die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse zu bitten. Und nicht nur die Bedürfnisse anderer zu erfüllen. Aber eben auch zur Erfüllung beizutragen.
Gemeinschaft entsteht nicht, wenn jede/r nur nach sich schaut oder nur nach den anderen. Gemeinschaft lebt davon, dass wir uns selbst in den Blick nehmen und in Bezug zu unseren Mitmenschen setzen. Wieder und wieder.
Probiere es aus, zieh deine BGBB-Wanderschuhe an, verbinde dich über die 4 Schritte mit dir selbst und gehe auf den 3 Wegen mit deinen Mitmenschen wandern. Viel Freude und gute Verbindung.
Noch mehr Infos über verbindende Kommunikation im Alltag findest du in meinem Buch:
Aus dem Inhalt:
Wenn Menschen zusammenkommen und miteinander kommunizieren – ob beruflich oder privat –, entstehen oft Missverständnisse und Konflikte. Kommunikation betrifft aber auch einen selbst: Wer sehr streng mit sich selbst spricht, neigt zu Selbst-Zweifeln und Selbst-Kritik. Darin erfährst du anhand zahlreicher Übungen und Aufgaben, wie es im Alltag gelingt, diese Methode anzuwenden. Ich lade dich ein, in einem praktischen 4-Schritte-Programm die eigenen Gefühle und Bedürfnisse besser wahrzunehmen, um so in eine wertschätzende Verbindung zu dir selbst und deinem Gegenüber zu treten.
Bildquelle: Birgit Schulze
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